#001 Artenvielfalt

Shownotes

Thema: Artenvielfalt im Nationalpark Hohe Tauern und globale Biodiversität

Gastgeber: Nationalpark Hohe Tauern, Christine Brugger

Gastexperten: Tobias Seifert (Haus der Natur, Salzburg) & Arno Aschauer, WWF - Biodiversitätsexperten

Aufnahmeort/Anlass: Tag der Artenvielfalt im Nationalpark Hohe Tauern

Inhalt kompakt:

Rund zwanzigtausend Arten im Nationalpark Hohe Tauern, fast ein Drittel aller in Österreich vorkommenden Arten

Begriffserklärung Biodiversität: Ausführliche Aufarbeitung in der Biodiversitätsbroschüre des Nationalparks Hohe Tauern

historische Perspektive: Von mittelalterlicher Sammlung über Linne, Humboldt, Darwin bis zur Evolutionstheorie; Entwicklung von Naturschutz und Nachhaltigkeit

Ökonomische Perspektive: Ökosystemleistungen vergleichbar mit BIP; sauberes Wasser/Luft, Nahrung sind lebenswichtige Ressourcen

Globale Biodiversitätsindikatoren: Living Planet Index -- weltweiter Rückgang der Wirbeltierbestände seit 1970 ca. 70%

Warum Nationalparke wichtig sind: Refugien, genetische Diversität, Resilienz gegen Klimawandel und Krankheiten

Praxis: Nationalparke erfassen und schützen; Schutzprogramme bei Arten, Forschung zu Lebensräumen, Langzeitmonitoring

Hauptfragen des Gesprächs:

  • Was bedeutet Biodiversität genau?
  • Wie messen und nutzen Wissenschaftler Biodiversität heute?
  • Welche historischen Entwicklungen führten zur heutigen Biodiversitätsforschung?
  • Welche ökonomische Bedeutung hat Artenvielfalt?
  • Welche Rolle spielen Nationalparke im Arten- und DNA-Schutz?
  • Welche Grenzen und Herausforderungen bestehen bei Nachzucht und Auswilderung?

Transkript anzeigen

00:00:02: ,760 [Tobias Seifert (Gast)] Nationalparke sind die letzten Refugien von vielen Arten. Das heißt, viele Arten findet man wirklich nur noch hier.

00:00:10: ,140 [Off-Sprecher] Aufgehorcht - der Podcast mitten aus dem Nationalpark Hohe Tauern mit faszinierendem Naturwissen, Begegnungen und besonderen Klängen.

00:00:23: ,120 [Christine Brugger (Moderatorin)] Rund zwanzigtausend verschiedene Tier- und Pflanzenarten leben im Nationalpark Hohe Tauern. Das sind fast ein Drittel aller in Österreich vorkommenden Arten. Mit diesen Superlativen begrüßt Sie Christine Brucker zur heutigen Ausgabe von "Aufgehorcht", in der sich alles um Arten und ihre Vielfalt dreht. Tobias Seifert vom Haus der Natur in Salzburg ist Experte in Sachen Biodiversität und ich treffe ihn beim Tag der Artenvielfalt. Beginnen wir also mit einer Definition: Biodiversität bedeutet?

00:00:59: ,300 [Tobias Seifert (Gast)] Ähm, das ist einfach die Artenvielfalt, also, ähm, welche Tiere, Pflanzen, Pilze es in 'nem gewissen Gebiet gibt und auch in welcher Anzahl und wo genau. Also nicht nur die reine Artanzahl, sondern auch die Verteilung. Man nennt dann, das nennt es Communities. Also welche Pflanzen kommen mit welchen Insekten vor? Wie viele Insekten? Welche Pflanzen bestäuben sie? Also diese ganzen Zusammenhänge der ganzen Natur.

00:01:21: ,800 [Christine Brugger (Moderatorin)] Den gesamten ökologischen Kreislauf, wenn man so sagen darf?

00:01:24: ,640 [Tobias Seifert (Gast)] Genau. Und auch die Interaktionen dazwischen. Einfach die ganze belebte Natur, die wir wahrnehmen können. Und, ähm, da wenden wir dann die verschiedensten Methoden an, um die dann auch nachzuweisen und können dann aus diesen Daten mit modernen Analysemethoden dann auch Rückschlüsse auf Veränderungen zum Beispiel ziehen.

00:01:40: ,940 [Christine Brugger (Moderatorin)] Arten zu dokumentieren ist ja nicht ganz neu. Früher hat es Expeditionen gegeben. Wann hat das angefangen, dass der Mensch sich für Biodiversität interessierte?

00:01:51: ,560 [Tobias Seifert (Gast)] Ich glaub, die ersten Anfänge waren schon im, im Mittelalter, als damals Adelige und kirchliche Leute versucht haben, nachzuweisen, was es alles gibt, auch mit dem Fokus auf Medizin, medizinische Pflanzen, medizinische Arzneimittel. Und dann aber spätestens als Linnee dann um 1758 dieses System begründet hat, diese Benennung, waren eigentlich alle heiß darauf, die Natur zu ordnen, zu systematisieren. Und seitdem wird systematisch die Natur erfasst. Und das ging dann, äh, auch über in den Naturschutzgedanken. Das war am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, kam dann Nachhaltigkeit auch als Begriff auf, erst aus der Forstwirtschaft. Und das hat sich dann eigentlich durchgezogen und mittlerweile umfasst es ja auch landwirtschaftliche Flächen und die ganze Natur, wie wir sie nutzen wollen.

00:02:37: ,959 [Christine Brugger (Moderatorin)] Bleiben wir noch ein bisschen in der Geschichte, so neunzehntes Jahrhundert. Linné, Humboldt, Darwin, Goethe sogar haben gerne sich in der Natur aufgehalten, gezeichnet, botanisiert, dokumentiert, tolle Fundstücke mitgebracht. War das ein bissel en vogue? War das die Mode der Zeit?

00:02:58: ,800 [Tobias Seifert (Gast)] Es war natürlich sehr angesehen, wenn man weit gereist ist, dann kann man natürlich auch was mitbringen. Und entweder waren es dann Kulturgüter, Waffen oder Rüstungen aus fernen Ländern oder Zeichnungen. Aber dann gab's natürlich dann auch viele Naturgüter, die man mitnehmen kann. Verschiedenste Blattformen sind sehr interessant. Wenn Humboldt dann im fernen Osten war und da Blätter gefunden hat oder Bäume mit Blattformen, die man nicht kannte, war das natürlich toll und, und, äh, man hat ja auch zum Teil viel auf Gottes Schöpfung gehalten, also wie kreativ das alles sein kann und wie es auch woanders aussieht. Ja, da war dann auch einfach 'ne wissenschaftliche Idee dahinter, das zu quantifizieren, das zu belegen, was es alles wo gibt. Das heißt, es wurde nicht nur gesammelt, sondern auch aufgeschrieben, wo das herkam, wann das auch gesammelt wurde. Und spätestens Darwin hat dann versucht, einen Zusammenhang zwischen diesen Belegen zu finden. Der hat dann zoologisch gearbeitet mit Tieren und hat dann auch, äh, Sachen abgeglichen. Er hat selbst was gesammelt. Ihm ist das dann komisch vorgekommen. Er dachte sich, da muss es 'nen Zusammenhang geben. Er, äh, ging dann auch in andere Museen, die dann das schon anfingen zusammenzutragen und hat dann mithilfe von Fossilien eben zum Beispiel die Evolutionstheorie dann niedergeschrieben.

00:04:04: ,650 [Christine Brugger (Moderatorin)] Der Tag der Artenvielfalt findet jedes Jahr im Nationalpark Hohe Tauern statt. Zweitausendfünfundzwanzig sind es fast einhundert Expertinnen und Experten, die in ihren Fachgebieten in einem definierten Gebiet die Tier-, Pflanzen-, Insekten-, Flechten- und Pilzarten dokumentieren. Warum sind diese Daten so spannend?

00:04:28: ,280 [Tobias Seifert (Gast)] Wir erwarten viele Schmetterlinge, viele Käfer. Unsere Kollegen suchen ganz intensiv nach Wildbienen. Die Botaniker kartieren wie immer ihre Pflanzen, die es hier auch gibt. Und dieses Tal ist 'n bisschen untererfasst. Das heißt, man weiß theoretisch, was jetzt alles vorkommen könnte. Aber was genau es dann hier gibt, das wird eben dann durch solche Ansammlungen von Experten, ja, beantwortet.

00:04:51: ,960 [Christine Brugger (Moderatorin)] Was treibt die Menschen an? Es sind sehr viele Beteiligte, die der Tag der Artenvielfalt anlockt. Was haben die für 'ne Ausbildung? Was haben sie für 'ne Motivation?

00:05:02: ,840 [Tobias Seifert (Gast)] Die haben die unterschiedlichsten Motivationen. Viele Leute sind, äh, beruflich Biologen, also Profis, die entweder an Museen, an Universitäten arbeiten oder freiberufliche Biologen sind, die also kartieren und Gutachten schreiben. Aber auch viele Amateure, Amateure im besten Sinne, also Leute, die für den Gelderwerb in 'nem anderen Beruf nachgehen. Da sind Apotheker dabei, Ärzte oder Tischler, die sich aber auf eine gewisse Artgruppe spezialisiert haben. Die ist dann noch mal sehr nah gefasst, also die beschäftigen sich dann nur mit Laufkäfern und dann einfach so gut wie sie das alles können, dann auch dokumentieren und nachweisen.

00:05:38: ,360 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und jetzt entlasse ich dich in das wunderschöne Grabental und werde mich auch auf die Suche machen nach Forscherinnen und Forscher, eine extremst spannende Spezies.

00:05:54: ,740 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und ich habe auch schon einen Forscher gefunden. Der Roland aus Steier ist mit einem großen Schmetterlingsnetz ausgerüstet. Ich nehme an, du suchst Schmetterlinge?

00:06:04: ,160 [Roland (Gast)] Das ist korrekt. Tag- und Nachtfalter.

00:06:08: ,880 [Christine Brugger (Moderatorin)] Woher kommt dein Interesse? Bist du Biologe?

00:06:10: ,860 [Roland (Gast)] Nein, ich bin nicht Biologe. Ich bin eigentlich Techniker, Ingenieur.

00:06:14: ,520 [Christine Brugger (Moderatorin)] Was fasziniert dich an Schmetterlingen?

00:06:17: ,420 [Roland (Gast)] Zum Beispiel, dass so ein kleines Individuum im Freien überwintern kann, unter Schnee und Eis. Der Schmetterling, der kann so, kann wenige Millimeter haben, kann aber auch, äh, der größte in Österreich zum Beispiel hat circa zwölf Zentimeter Spannweite ungefähr, ja.

00:06:38: ,219 [Christine Brugger (Moderatorin)] Aber das Prinzip ist immer dasselbe?

00:06:41: ,769 [Roland (Gast)] Ei, Raupe, Puppe, Schmetterling. Allerdings gibt es Arten, die brauchen bis zu neun Jahre, bis sie entwickelt sind.

00:06:48: ,680 [Christine Brugger (Moderatorin)] Was glaubst du, findest du hier im Gradental?

00:06:52: ,659 [Roland (Gast)] Sehr viele Eriben sind zu sehen, einige Geometriden, also relativ viel Geometriden sogar, Noctuiden. Gestern wurden, waren zwei Schwärmer am Licht, ein Pappelschwärmer und ein Kieferschwärmer.

00:07:05: ,020 [Christine Brugger (Moderatorin)] Licht bedeutet, ihr stellt Zelte auf und beleuchtet die und damit lockt ihr die Nachtfalter an?

00:07:13: ,799 [Roland (Gast)] Ja, wir betreiben eine Lampe

00:07:15: ,210 [Roland (Gast)] und dann warten wir praktisch, was zum Licht kommt.

00:07:19: ,600 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und da hat sich gerade, das ist fast kitschig, aber war ein Schmetterling auf deiner Uhr niedergelassen. Kannst du den bestimmen?

00:07:26: ,219 [Roland (Gast)] Ja, ist 'n Mohrenfalter. Nähere Bestimmung, also er zeigt mir den Unterflügel nicht richtig, also es ist dann schwer.

00:07:35: ,820 [Christine Brugger (Moderatorin)] Er sitzt jetzt auf deinem Handrücken, was tut er da?

00:07:37: ,220 [Roland (Gast)] Schweiß saugen. Schweiß enthält Salz und dadurch geht er auf das, ja.

00:07:42: ,419 [Christine Brugger (Moderatorin)] Neben dem unterwegs sein in der Natur und dem Suchen nach Arten, welche Rolle spielt bei solchen Veranstaltungen der Austausch mit Gleichgesinnten?

00:07:53: ,000 [Roland (Gast)] Ja, nicht nur mit Gleichgesinnten, sondern auch mit Kollegen, die Botanik machen, die Späne machen, die Käfer machen. Also man bekommt einen größeren Weitblick dadurch.

00:08:06: ,980 [Christine Brugger (Moderatorin)] Was bedeutet das, über die Jahrzehnte hinweg Arten zu beobachten? Was stellst du fest?

00:08:13: ,399 [Roland (Gast)] Leider sie werden immer weniger und weniger. Überall, wo die Silopallenwirtschaft ist, das sind tote Wiesen, das sind tote Gebiete, ja.

00:08:27: ,159 [Christine Brugger (Moderatorin)] Nächste Forscherin, die ich hier im lichten Lärchenwald treffe, ist die Valentina. Du studierst Biologie. Was ist deine Perspektive auf Artenvielfalt, Artensterben?

00:08:39: ,319 [Valentina (Gast)] Artenvielfalt ist auf jeden Fall Lebensgrundlage und Lebensqualität. Ich denke, es ist sehr wichtig. Artensterben ist auf jeden Fall Realität, aber meine Hoffnung und mein Ziel als Studentin ist es, dem vielleicht ein bisschen entgegenzuwirken.

00:08:53: ,420 [Christine Brugger (Moderatorin)] Wie kann das funktionieren?

00:08:55: ,760 [Valentina (Gast)] Ich würde mich schon gern im Naturschutz einsetzen. Jetzt arbeite ich auch schon mit Amphibien und Reptilien, zum Beispiel Amphibien Absiedlungen bei Baustellen. Ich denke, einfach grundlegendes Bewusstsein in der Bevölkerung ist wichtig, dass man Tieren und Pflanzen auch den Raum gibt, den sie brauchen und dass man vielleicht einfach gegenseitig Rücksicht nimmt.

00:09:21: ,660 [Christine Brugger (Moderatorin)] Gabriel studiert auch an der Universität Salzburg und ist Mitarbeiter im Haus der Natur. Dein Fachgebiet sind unter anderem Ameisen, die ja ein unglaublich komplexes Gesellschaftssystem haben. Verrätst du uns ein bisschen was darüber?

00:09:39: ,720 [Gabriel (Gast)] Ja, also Ameisen sind euch sozial. Das bedeutet, dass sie in Gemeinschaften leben und Arbeitsteilung betreiben, gemeinsame Brotpflege, gemeinsame Nahrungssuche. Und das macht sie auch sehr erfolgreich. Also Ameisen sind ja in allen Teilen der Welt allgegenwärtig, vor allem in unseren natürlichen Habitaten. Und das verdanken sie unter anderem ihrer euch sozialen Lebensweise mit den Arbeiterinnen, die auf Fortpflanzung verzichten, zugunsten der Königin.

00:10:05: ,819 [Christine Brugger (Moderatorin)] Welche Ameisen sind dir heute schon begegnet?

00:10:08: ,540 [Gabriel (Gast)] Sehr viele Waldameisen sind hier, unter anderem die kahlrückige Waldameise. Keine seltene Art, aber eben eine sehr typische Waldart und auch eine sehr wichtige in diesen Ökosystemen. Und auch die Bergsklaven-Ameise, die quasi die Wirtsart für diese anderen hügelbauenden Waldameisen darstellt.

00:10:26: ,858 [Christine Brugger (Moderatorin)] Warum sind das so bedeutende Arten? Was tun die hier im Nationalpark Hohe Tauern?

00:10:32: ,560 [Gabriel (Gast)] Also Ameisen ganz im Allgemeinen, was man so kennt, ist natürlich die die Polizei des Waldes. Sie fressen irrsinnig viele Insekten, vor allem tote Insekten werden dann aufgeräumt. Durch den Nestbau wird der Boden gelockert und sie sind natürlich auch selbst für irrsinnig viele Tiere Nahrung. Zum Beispiel einige Spechtarten sind fast ausschließlich auf Ameisen angewiesen und auch für einige Tagfalter zum Beispiel Bläulinge sind oft in einem Teil ihrer Entwicklung auf Ameisen angewiesen und so spielen die eine ganz entscheidende Rolle in vielen Ökosystemen.

00:11:05: ,579 [Christine Brugger (Moderatorin)] Ich erinnere mich an den Thymian-Ameisen-Bläuling, der ja eine ganz große Affinität zu Ameisen hat.

00:11:11: ,120 [Gabriel (Gast)] Genau, ja, der Thymian-Ameisen-Bläuling ist einer der selteneren Bläulinge, die auf Ameisen angewiesen sind in ihrer Entwicklung. Die Raupen fressen eine Weile an der Futterpflanze, am Thymian, und lassen sich dann fallen. Und Ameisen von einer ganz bestimmten Art aus der Gattung Myrmica, von den roten Knotenameisen, die müssen die Raupe dann finden, halten sie für eine Larve von ihren eigenen und bringen sie ins Nest. Und dort wird dann die Raupe sich fertig entwickeln und im Folgejahr schlüpfen und muss, muss ganz schnell flüchten, um nicht als Feind erkannt zu werden.

00:11:47: ,099 [Christine Brugger (Moderatorin)] Das ist eine spannende Geschichte, aber wahr?

00:11:50: ,760 [Gabriel (Gast)] Das ist wahr, ja. Das passiert tatsächlich so. Wurde auch im Labor in Untersuchungen natürlich zahlreich beobachtet.

00:11:56: ,520 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und vielleicht ein Grund, warum einhundert Forscherinnen und Forscher hier sind und so fasziniert von der Artenvielfalt?

00:12:05: ,664 [Gabriel (Gast)] Also ich glaub, die Artenvielfalt an sich ist schon, ist schon ein Grund.Es ist natürlich auch so ein bisschen, dass man einen Termin im Jahr hat, wo man sich gemeinsam an der Faszination erfreuen kann, die uns ja alle verbindet, auch wenn es unterschiedliche Artgruppen betrifft.

00:12:18: ,384 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und jetzt ist da schon wieder ein Morenfalter und der sitzt jetzt auf deinem Kapperl. [Musik läuft] Zurück zu Tobias Seifert. Wie viele Datensätze werden am Ende des Tages bei euch aufpoppen?

00:12:35: ,544 [Tobias Seifert (Gast)] Das ist eine gute Frage. Wird auf jeden Fall ein paar tausend werden. Wir hatten in den letzten Jahren so zwischen zwei und fünftausend Datensätze, eine Gemeinde hier in Kärnten.

00:12:44: ,324 [Christine Brugger (Moderatorin)] Und da kommt dann das Haus der Natur in Salzburg ins Spiel beziehungsweise eure Biodiversitätsdatenbank. Die gibt es ja schon ziemlich lange.

00:12:53: ,364 [Tobias Seifert (Gast)] Die gibt es seit circa zwanzig Jahren und die Idee ist einfach, alle Daten, die es gibt, zusammenzufassen. Das heißt, früher wurde alles in Büchern abgeschrieben. Toll, ganz wunderbar. Aber da musste man dann für jede Artgruppe in ein extra Buch schauen oder in mehrere Bücher und es war nie auf einen gemeinsamen. Das heißt, wir haben angefangen, diese Literatur zu digitalisieren und dazu haben wir dann auch die Sammlungsbelege. Das heißt, es wird schon immer Pflanzen gepresst oder auch Schmetterlinge gesammelt, Käfer. Früher wurden sogar noch Vögel gesammelt oder auch Säugetiere, also Jagdtrophäen, sind alle digitalisiert worden. Und das wird heutzutage dann nicht mehr in diesem Stil gemacht, sondern wir erweitern diese Datenbank mit Gutachten, also biologischen Kartierungen. Diese Daten fließen auch alle ein und auch sogenannte Citizen-Science-Daten, also Bürgerwissenschaftlerinnen-Daten, wo jeder Mann und jede Frau rausgehen kann, fotografieren kann, diese Bilder dann auf 'ner Plattform hochladen kann. Die werden dann von Experten bestimmt. Und so ergibt sich dann ein sehr ganzheitliches Bild über die Arten, wo sie vorkommen und wo sie auch vor kamen.

00:13:59: ,944 [Christine Brugger (Moderatorin)] Führt mich zu der Frage: Was bringt es? Was bedeutet dieses Wissen dann für die gesellschaftliche Diskussion, für die politische Argumentation, zum Beispiel?

00:14:09: ,664 [Tobias Seifert (Gast)] Das ist dann Naturschutzforschung. Das heißt, wir analysieren, was gerade der Status quo ist, was gerade passiert. Wir erkennen Trends, hoffentlich auch frühzeitig, und dann geben wir auch Empfehlungen ab, die dann im besten Falle auch von Politikerinnen und Politikern umgesetzt werden.

00:14:27: ,204 [Christine Brugger (Moderatorin)] Noch einmal die Frage: Was bringt die Artenvielfalt ökonomisch? Die Wirtschaftsleistung eines Landes wird in BIP gemessen. Wie könnte man Biodiversität bewerten? Das möchte ich von Arno Aschauer vom WWF Österreich wissen.

00:14:44: ,884 [Arno Aschauer (Gast) 6] Es gibt Abschätzungen, weil sie das BIP auch genannt haben, dass die sogenannten Ökosystemleistungen, also das sind alle Leistungen, die wir täglich für unser Leben meistens gratis nutzen, das Doppelte von dem an Wert bedeutet, wie das weltweite BIP. Da geht es sauberes Wasser, saubere Luft, Nahrungsmittel. Und je

00:15:09: ,603 [Arno Aschauer (Gast) 6] einfältiger und je gestörter die Biodiversität ist, umso weniger ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir weiterhin langfristig saubere Luft, sauberes Wasser oder auch ausreichend Lebensmittel haben.

00:15:22: ,424 [Christine Brugger (Moderatorin)] Welche Zahlen können Sie da liefern? Wie schaut's aus mit der Biodiversität beziehungsweise mit dem Verlust von Arten?

00:15:29: ,343 [Arno Aschauer (Gast) 6] Na, weltweit gibt es verschiedene Indikatoren, wie zum Beispiel den Living Planet Index, den der WWF gemeinsam mit der Zoologischen Gesellschaft London alle zwei Jahre veröffentlicht. Und der zeigt ganz klar, dass zum Beispiel die Wirbeltierbestände weltweit seit 1970 im Durchschnitt über siebzig Prozent zurückgegangen sind. Wenn das jetzt ein Aktienindex wäre, würden wahrscheinlich sehr, sehr viele Menschen nervös werden. Bei den Tieren und bei der biologischen Vielfalt ist das leider noch nicht so. Es bedeutet aber mehr oder weniger eine Vorstufe des Aussterbens. Je kleiner die Bestände werden, umso weniger Individuen gibt es, die zum Beispiel Extremereignisse überleben können. Und dementsprechend gefährden wir damit auch mehr und mehr unsere Lebens-und Wirtschaftsgrundlagen.

00:16:23: ,523 [Christine Brugger (Moderatorin)] Warum sind Nationalparke da so wichtig in dem Konzert von Biodiversität, Artensterben oder erhalten?

00:16:32: ,344 [Tobias Seifert (Gast)] Nationalparke sind die letzten Refugien von vielen Arten. Das heißt, viele Arten findet man wirklich nur noch hier oder man findet sie nur noch hier in einer gewissen Populationsstärke. Das heißt, dass Arten vielleicht schon hier und da mal vorkommen, aber nur sehr klein. Und wenn, wenn es nur sehr kleine Populationen sind, dann sind es auch nur sehr kleine genetische Populationen. Also wir reden immer über die genetische Diversität und diese Diversität wollen wir erhalten. Das heißt, wir wollen nicht nur, dass wir ein Pärchen pro Art haben, die sich dann immer wieder fortpflanzen, so wie Noah auf seiner Arche, sondern wir wollen auch, dass die ganze genetische Information dieser Arten erhalten bleibt. Die Idee ist, dass wir nicht wissen, was auf die Natur zukommt. Die Gefahren des Klimawandels zum Beispiel sind sehr groß oder es kann auch für jede Art Gruppe, für Tiere und Pflanzen, können immer wieder Krankheiten ausbrechen, irgendwelche Viren oder was es alles gibt. Und wenn dann innerhalb von einer Population auch resistenter Individuen dabei sind, kann das helfen, dass die nicht aussterben?

00:17:33: ,744 [Christine Brugger (Moderatorin)] Aber das beobachtet ihr nur. Ihr greift nicht ein, ihr züchtet keine resistente Art im Terrarium?

00:17:40: ,504 [Tobias Seifert (Gast)] Nein, das ist überhaupt nicht unsere Aufgabe oder nicht unser Fachgebiet. Es gibt dann natürlich gewisse Artenschutzprogramme, die dann vor allem bei größeren Tieren, bei Geiern oder bei Säugetieren oder auch bei Amphibien versuchen, Nachzuchten zu machen und die auch wieder auswildern. Das Problem ist aber auch, dass es auch nicht so einfach möglich ist. Also gewisse Schmetterlinge kann man nicht nachzüchten oder bei gewissen Fliegen ist die Lebensweise gar nicht bekannt. Das heißt, wenn die verschwinden würden, dann wüssten wir gar nicht, wie wir die wiederherstellen sollten.Und dann wäre die Art einfach verloren für uns unter die genetische Population.

00:18:15: ,484 [Christine Brugger (Moderatorin)] Ich erlaube mir jetzt mal eine provokante Frage. Wir wissen alle um das Insektensterben, aber die Windschutzscheiben sind nicht mehr so verpickt, wie das früher war. Also wer braucht eigentlich Insekten? Die kann man nicht streicheln, nicht fotografieren, nicht hopern. Was soll dieses kriechende Getier?

00:18:35: ,884 [Tobias Seifert (Gast)] Ja, die Insekten sind natürlich manchmal vor allem die, mit denen wir Menschen in Kontakt kommen, dann sehr lästig. Und jeder kennt ja die nervige Mücke, die einen nicht schlafen lässt und Fliegen am Essenstisch. Und Wespen in der Bäckerei sind nicht unbedingt nett, aber das sind nur die wenigsten Arten. Also wir haben in Österreich circa zwölf, 13.000 Insektenarten, von denen wir wahrscheinlich mit einer Handvoll Arten nur konfrontiert ist im täglichen Leben. Und jede dieser Arten ist ein kleiner Baustein in einem riesigen ökologischen Netz, von dem wir gar nicht wissen, mit was es alles verbunden ist. Bei diesem großen Insektensterben merken wir zum Beispiel auch, dass die Vogelpopulation und die Singvögel einbrechen. Warum? Weil sie keine Nahrung mehr finden. Die brauchen eine gewisse Nahrung für ihre Jungvögel und dem sich evolutionär angepasst, dass sie jedes Jahr 200 Gramm pro Woche finden. Pi mal Daumen. Wenn das jetzt weniger werden, dann kommen vielleicht schon noch die Vögel durch, aber es werden halt weniger, weil dann ist der Bruterfolg statt fünf Küken bei vier Küken. Und das zieht sich natürlich pro Generation dann durch. Und wenn die Vögel wegfallen, dann kann es aber sein, dass zum Beispiel schädliche Insekten wieder mehr werden, die eigentlich die Vögel als Gegenspieler haben. Und so ist es eigentlich ein sehr empfindliches Gleichgewicht, das sich über Jahrmillionen und im nördlichen Mitteleuropa seit Jahrzehntausenden aneinander angepasst hat. Und wenn wir da immer weiter Puzzlesteine herausnehmen, dann kann es sein, dass das Puzzle keinen Sinn mehr macht und dass es dann zusammenbricht.

00:19:59: ,384 [Christine Brugger (Moderatorin)] Es gilt also gut auf die Biodiversität zu schauen. Nicht nur Schutzgebiete, auch Gärten, Parks oder Dächer können Lebensräume für Arten sein. Mit diesem Appell verabschiedet sich Christine Brucker, sagt Danke fürs Dabeisein und bis zur nächsten aufgehorcht Folge.

00:20:19: ,504 [Off-Sprecher] Das war aufgehorcht. Ein Stück Natur für deine Ohren. Mehr davon entdecke alle Folgen auf hohe Tauerne und auf Spotify. Oder noch besser vorbeikommen und den Nationalpark Hohe Tauern live erleben.

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